Von Pamela Premm

Ok, ganz so plötzlich kam es nicht dazu. Dies ist schließlich keine Entscheidung, die man im Vorbeigehen fällt. Allerdings ist es schon beeindruckend, wenn man mit Sabine Lindenfeld* spricht. Die Familie nimmt Pflegekinder nun schon in zweiter Generation bei sich auf. Neben der Betreuung von vier Pflegekindern haben die heutigen Pflegegroßeltern drei leibliche Kinder großgezogen, die bereits eigene Familien haben. Die jüngste Tochter lebt zusammen mit ihrem Mann im gleichen Haus. Und hat das Abenteuer Pflegefamilie ebenfalls gewagt.

Das Zusammenleben mit Pflegekindern war und ist nicht immer einfach, weiß Sabine Lindenfeld: „Wir haben uns damals gezielt dazu entschlossen, behinderte Pflegekinder bei uns aufzunehmen. Mein Mann arbeitete zu diesem Zeitpunkt in einem Wohnheim für behinderte Erwachsene. Ich hatte eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Das waren beste Voraussetzungen für diesen Schritt. Allerdings war das für unsere älteste Tochter, die das Familienleben auch ohne Pflegekinder kannte, nicht immer ganz leicht.“

Positive Aspekte überwiegen

Lindenfeld sucht schließlich das Gespräch mit ihren Kindern. „Als unsere Kinder erwachsen waren, habe ich mich mit ihnen zusammengesetzt und die Kindheit noch einmal reflektiert“, erklärt sie. „Die Konstellation mit behinderten Pflegekindern ist schon eine besondere. Ich hatte häufig das Gefühl, meine Kinder zu überfordern. Es war gut von ihnen zu hören, dass die positiven Aspekte überwogen.“ Doch eines der drei Kinder geht noch einen Schritt weiter: Die jüngste Tochter kann sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vorstellen, Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Bis zur konkreten Entscheidung, vergehen allerdings noch einige Jahre. „Wir haben damals viele Gespräche geführt. Meine Tochter und ihr Mann wollten genau wissen, wie es bei uns war, als die Pflegekinder einzogen. Wie groß die Belastung wirklich ist. Ich war offen und ehrlich, habe nichts beschönigt. Dennoch wusste ich immer, dass sie der Aufgabe mit Pflegekindern zusammenzuleben, gewachsen sein werden.“

Nur einmischen, wenn gewünscht

Aus dem Umfeld kommen dagegen auch kritische Stimmen. Einige Freunde und Verwandte können den Entschluss nicht nachvollziehen. Erfahrungen, die Sabine Lindenfeld ihrer Tochter gerne erspart hätte. Doch diese lässt sich von ihrem Entschluss nicht abbringen. Heute leben die fünfjährige Anna und der dreijährige Jason in der Familie der Tochter. Auf die Frage, wie es nun als Pflegeoma sei, antwortet Lindenfeld mit einem typischen Oma-Problem: „Manchmal muss ich aufpassen, dass ich mich nicht allzu sehr reinhänge“, verrät die 55-Jährige. „Man kann die Kinder nicht vor allem bewahren. Meine Kinder müssen ihre Fehler selbst machen, um sich daran entwickeln zu können. Ich will dieser Entwicklung nicht im Weg stehen. Daher sage ich mir oft: Lass sie machen.“

Damit das Zusammenleben im Mehrgenerationen-Haushalt funktioniert, ist ein ehrliches Verhältnis Grundvoraussetzung. „Ich wünsche mir von meinen Kindern, dass sie es offen sagen, wenn ich es mit meinen Ratschlägen zu gut meine.“ In der Familie hat jeder seinen Rückzugsort und seinen Freiraum. Hinzu kommen einige Fixpunkte, wie gemeinsames Essen oder Spielenachmittage mit der ganzen Familie. „Wir akzeptieren die Privatsphäre des anderen“, sagt die sechsfache Oma, „Übergriffiges Verhalten gibt es bei uns nicht.“

Ich liebe alle Enkel gleich

Unterschiede zwischen den Enkeln macht Lindenfeld keine. „Ich liebe sie alle gleich“, sagt sie. Die klassische Oma ist sie trotzdem nicht. Dafür ist sie noch zu sehr in der Rolle der Pflegemutter verhaftet. Das jüngste eigene Pflegekind ist erst 13 Jahre alt. „Manchmal bin ich vielleicht zu konsequent, aber in bestimmten Situationen ist das einfach notwendig, um den Pflegekindern einen sicheren Orientierungsrahmen zu bieten.“ Wenn sich Lindenfeld allerdings mal die Enkel schnappt und mit ihnen etwas allein unternimmt, dann ist sie Oma mit allem, was dazugehört. „Dann werden meine Enkel nach Strich und Faden verwöhnt.“

Was sich Lindenfeld für Pflegegroßeltern wünscht? Dass es noch mehr Fortbildungsangebote speziell für Eltern von Pflegeeltern gibt. Ein Ort, an dem sich die Pflegegroßeltern austauschen können. An dem Pflegegroßeltern und Pflegeeltern miteinander ins Gespräch kommen. „Ich hatte ja nun schon den Bezug zu Pflegekindern. Aber häufig fehlt das Verständnis der Großeltern für die Besonderheiten im Zusammenleben mit Pflegekindern. Da wäre eine gezielte Aufklärung hilfreich.“ Die Rolle der Pflegegroßeltern ist nicht zu unterschätzen. Pflegeomas und -opas können erheblich dazu beitragen, dass sich ein Pflegekind von der Familie angenommen fühlt und sich gut entwickelt. Seminare unter fachlicher Anleitung könnten helfen, dass sich Pflegegroßeltern in die neue Situation besser einfinden und beide Seiten offen aufeinander zugehen.

Dass das funktionieren kann, zeigt Familie Lindenfeld. Auch die Pflegeurgroßeltern leben noch mit im Mehrgenerationenhaus. Sie genießen den täglichen Trubel der insgesamt zwölfköpfigen Großfamilie. „Die vielen Kinder um uns herum halten uns jung“, sagt das 80-jährige Paar. Für die Lindenfelds ist das Abenteuer Pflegefamilie eine Lebensaufgabe. Die Devise, nach der die Familie auch in turbulenten Zeiten lebt: „Wenn Du etwas tust, dann mit viel Herzblut.“ Und davon hat die Familie nicht zu knapp.

Interessieren Sie sich auch für das Pflegeeltern sein, dann nehmen Sie hier mit uns Kontakt auf. Oder wollen Sie vielleicht Pflegegroßeltern sein, dann sprechen Sie Ihre Kinder an.

*Namen von der Redaktion geändert