Was Pflegekinder brauchen? Liebe und das Gefühl, dazuzugehören

Von Pamela Premm

Fünf Kinder in einer Familie – zwei leibliche und drei Pflegekinder: Mit dieser Unterscheidung kann Hannah Schumann* nicht viel anfangen. Ebenso wie mit der Differenzierung zwischen Kernfamilie und Pflegekinder. „Wir behandeln unsere fünf Kinder alle gleich. Wie müssten sich unsere Pflegekinder fühlen, wenn sie nicht so richtig zu unserer Familie gehören würden? Das könnte ich ihnen niemals antun.“ Im Gespräch mit Pflegefamilien-Hessen erzählt die 35-jährige, was Pflegekinder brauchen und warum sie ihre Pflegekinder wie ihre eigenen Kinder behandelt.

Unsere Pflegekinder haben keine Sonderrolle

Die Pflegekinder der Familie Schumann wachsen ganz normal auf – mit Geschwistern, Oma, Opa und Freunden. In der Familie nehmen sie keine Sonderrolle ein. Sie haben keinen Integrationsplatz im Kindergarten und Therapien werden nur behutsam eingesetzt. „Sicher muss man die Entwicklung des Kindes im Blick behalten, aber man sollte es auch nicht übertreiben. Wir möchten nicht, dass unsere Pflegekinder per se stigmatisiert werden, daher lassen wir sie so natürlich wie möglich aufwachsen.“ Damit das gelingt, hat die Familie auch beim Alter der Pflegekinder auf die übliche Reihenfolge geachtet. „Als wir uns für Pflegekinder entschieden haben, hatten wir bereits zwei Kinder im Alter von drei und vier Jahren. Uns war es wichtig, dass die natürliche Reihenfolge beibehalten wird und haben uns daher um ein Pflegekind im Babyalter beworben.“ Aus dem Wunsch, ein Pflegekind aufzunehmen, wurden am Ende zwei Mädchen und ein Junge. Dabei stand lange Zeit gar nicht fest, ob die Familie überhaupt ein Pflegekind aufnehmen wird.

Könnten wir ein Pflegekind lieben?

„Für mich stand schon früh fest, dass ich einmal Pflegekinder haben werde“, sagt Schumann.  „Mein Mann war sich da nicht sicher.“ Immer wieder zweifelte der gelernte Krankenpfleger daran, ob er je ein Pflegekind so lieben könnte wie sein eigenes.Was Pflegekinder brauchen „Für uns beide war das aber Bedingung.“ Die Unsicherheit hielt lange Zeit an, bis es zu einem besonderen Erlebnis kommt. „Mein Mann hat zu der Zeit auf der Kinderkrebsstation gearbeitet. Dort lernte er ein kleines Mädchen kennen, das in Obhut gegeben werden sollte. Als er das Kind sah, war es um ihn geschehen.“ Das Mädchen wurde zwar anderweitig vermittelt, aber der Entschluss, ein Pflegekind aufzunehmen, war gefallen.

Die Familie hatte Vorbehalte

Habt ihr euch das auch wirklich gut überlegt? Und was ist später in der Pubertät? Welchen Einfluss wird das auf eure leiblichen Kinder haben? Die Familie reagierte erst einmal skeptisch. „Wir haben uns darüber gar keine großen Gedanken gemacht. Unsere Kinder haben so positiv reagiert und sich auf ihr Geschwisterchen gefreut. Wenn man ein Baby bekommt, denkt man ja auch nicht an die Pubertät.“ All die Skepsis löste sich in Wohlgefallen auf. Der selbstverständliche Umgang der Kinder mit den Pflegekindern machte es einfach. „Ich glaube, Vieles ist Kopfsache. Erwachsene sind dabei oft komplizierter als Kinder.“

Du wirst so geliebt, wie Du bist

Eine Unterscheidung zwischen der Kernfamilie und den Pflegekindern sieht Familie Schumann kritisch. „Wenn ich ein Kind aufnehme, weiß ich doch, dass es eine grausame Vorgeschichte hat und viele schlimme Dinge erlebt hat.“ Pflegekinder, die in einem engen Familiensystem leben, sollten sich angenommen und geliebt fühlen. Damit das Seelische nicht auf der Strecke bleibt, bedarf es mehr als nur eine Grundversorgung. „Ganz viel Liebe ist das, was Pflegekinder brauchen, sich angenommen fühlen, selbst wenn es mal anstrengend wird. Auch die leiblichen Kinder sind mitunter anstrengend und zeigen manchmal Wesenszüge, von denen wir nicht wissen, wo sie herkommen. Trotzdem würde man sie ja nicht ausgrenzen. Ausgrenzung ist das schlimmste, was Pflegekindern widerfahren kann.“ Bei Familie Schumann ist die Familienplanung erst einmal abgeschlossen. „Wir wollen unsere Kinder auf ihren Wegen begleiten und sie auf das Leben vorbereiten. Wir können ihnen nur die Dinge mitgeben, die sie brauchen, um im Leben klar zu kommen. Was sie daraus machen, liegt ganz bei ihnen.“ 

Für manche Pflegekinder ist Familie schwierig

Während sich die Pflegekinder der Familie Schumann rundum geliebt fühlen, kann es für manche auch zu viel werden. „Es gibt Ausnahmesituationen, da sind Pflegekinder in einer Heimeinrichtung besser aufgehoben“, räumt die ausgebildete Erzieherin ein, die jahrelang selbst in der Jugendhilfe tätig war. Vor allem ältere, stark traumatisierte Pflegekinder können Familie oft nicht aushalten und wissen nicht, wie sie in bestimmten Situationen reagieren sollen. „In einer Pflegekindereinrichtung sind die Rollen klar verteilt. Das kann Pflegekindern helfen, ihre Position zu finden.“

Wenn ein Pflegekind mit traumatischen Erlebnissen erst spät in die Familie kommt, ganze Strukturen sprengt und es beiden Seiten nicht gut dabei geht, sollte man über eine vorübergehende Unterbringung im Heim oder in einer therapeutischen Einrichtung nachdenken, bis sich die Situation entspannt hat und das Kind im besten Fall zurückkehren kann. „Das bringt Entlastung für die Familien.“ Sind die Kinder allerdings schon im Kleinkindalter in die Pflegefamilie eingezogen, sollte es keinen Rückzug seitens der Pflegeeltern geben. „Ein Kind kann doch gar nicht verstehen, was mit ihm geschieht. Es sollte seinen Platz in der Familie sicher wissen.“

Mehr Klarheit für Pflegefamilien

Wie viele andere Pflegefamilien wünschen sich auch die Schumanns mehr Klarheit über den Verbleib eines Pflegekindes und das zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. „Bis in Deutschland ein Kind aus einer Familie genommen wird, müssen viele schlimme Dinge passiert sein. Die Eltern sind oft krank oder haben selbst keine gute Kindheit gehabt. Die wenigsten können ihr Leben dauerhaft so in den Griff bekommen, dass ein Kind bei ihnen leben könnte.“

Hier wünscht sich die Familie, dass ein dauerhafter Verbleib in der Pflegefamilie schneller durchgesetzt wird.  Die oftmals unbegründete Angst, das geliebte Pflegekind wieder abgeben zu müssen, sorgt für Unruhe und schwingt über Jahre in den Familien mit. „Das ist völlig unnötig.“ Doch auch die leiblichen Eltern haben Ängste, sorgen sich um ihre Kinder. „Das sollte man nie vergessen“, sagt Schumann. „Der leibliche Vater unserer großen Pflegetochter konnte uns erst vertrauen, als er merkte, dass Elisa ganz zu unserer Familie gehört. Seine größte Angst war, dass sie als Pflegekind aufwachsen würde.“

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*Namen von der Redaktion geändert