von Jana Bamberger, Master Studierende im Bereich „Soziologie und Sozialforschung“ an der Universität Marburg
Pflegekinder in Regenbogenfamilien ist nach wie vor noch ein kontroverses Thema. Der folgende Beitrag von Jana Bamberger will dazu beitragen Vorurteile zu relativieren und beschreibt vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung die Chancen für Regenbogenfamilien und Pflegekinder in anschaulicher und differenzierter Weise. Herzlichen Dank dafür.
„Lesben und Schwule müssen bei der Vermittlung von Pflegekindern gleich behandelt werden, denn sie können genau so gute Eltern sein wie heterosexuelle Menschen. Leider zeigt die Erfahrung vieler Homosexueller, dass ‚klassische‘ Familienverhältnisse oft für stabiler gehalten werden als die lesbischer oder schwuler Paare. Das ist haltlos und diskriminierend.“ (Mielchen 2016)
„‚Ehe für alle‘ heißt nicht ‚Elternschaft für alle‘“
Trotz zahlreicher Reformen und Maßnahmen zur Gleichberechtigung von homosexuellen Personen haben gleichgeschlechtliche Paare noch immer mit zahlreichen Hindernissen im Bereich der Familienplanung und dem Familienalltag zu kämpfen. Denn obwohl die allgemeine Toleranz gegenüber schwulen Männern und lesbischen Frauen in den letzten Jahrzehnten spürbar gestiegen ist, wird der gleichgeschlechtlichen Elternschaft weiterhin eher kritisch und ablehnend gegenübergestanden.
Das Konzept der gleichgeschlechtlichen Elternschaft scheint für viele heterosexuelle Personen nur schwer mit bestehenden traditionellen Vorstellungen von Familie vereinbar zu sein. Darüber hinaus sehen sich homosexuelle Paare oftmals mit zahlreichen Vorurteilen und Klischees gegenüber ihrer Familienform konfrontiert, welche ihnen u.a. eine angemessene Erziehungsfähigkeit absprechen. So war bei einer Umfrage im Jahr 2017 beispielsweise jede/r fünfte Befragte der Überzeugung, dass homosexuelle Paare Kinder schlechter erziehen als heterosexuelle Paare.
Doch nicht nur seitens der Gesellschaft lassen sich Stigmatisierungen und Diskriminierungen homosexueller Personen feststellen, auch im Rahmen der deutschen Rechtsgrundlage bestehen trotz zahlreicher Reformen noch immer Ungleichbehandlungen homosexueller gegenüber heterosexuellen Paaren.
Was ist überhaupt eine Regenbogenfamilie?
In der heutigen Gesellschaft wird das traditionelle Familienbild „Mutter, Vater, Kind“ von immer mehr unkonventionellen Modellen abgelöst. Neben mittlerweile weit verbreiteten Modellen wie Stieffamilien, Patchworkfamilien, und Alleinerziehenden existieren sogenannte „Regenbogenfamilien“, welche ebenfalls eine eigene Familienform darstellen.
Hierbei gibt es jedoch verschiedene Möglichkeiten in einer derartigen Familienform zusammenzuleben, wodurch auch unterschiedliche Definitionen des Begriffes existieren. Grundsätzlich wird unter einer Regenbogenfamilie eine Familie verstanden, welche sich aus zwei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zusammensetzt, die mit mindestens einem Kind zusammenleben und dieses gemeinsam großziehen.
Regenbogenfamilien können hierbei die Form einer Adoptiv- oder Pflegefamilie annehmen oder eine Familie sein, bei welcher Kinder aus einer vorangegangen heterosexuellen Partnerschaft oder einer Leihmutterschaft stammen oder mittels einer künstlichen Befruchtung in eine aktuelle lesbische Beziehung hineingeboren wurden.
In Debatten um gleichgeschlechtliche Elternschaft wird sich hierbei, sowohl politisch als auch medial, sehr oft ausschließlich auf Adoptionen fokussiert, während Pflegekinderverhältnisse außer Acht gelassen werden. An dieser Lücke gilt es dringend anzuknüpfen.
Adoptivkind oder Pflegekind?
Sowohl bei lesbischen, als auch bei schwulen Paaren, die über Kinder verfügen, stammen die meisten dieser Kinder aus vorhergehenden heterosexuellen Beziehungen oder wurden direkt in die gleichgeschlechtliche Familie hineingeboren. Nur etwa 6% der Kinder aus Regenbogenfamilien wurden als Pflegekind übernommen und lediglich knapp 2% kamen durch eine Adoption – zumeist eine Auslandsadoption – in ihre Familie. Daran wird deutlich, dass die Übernahme von Pflege- und Adoptivkindern für homosexuelle Paare noch immer mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist.
Der wesentliche Unterschied zwischen Pflegekindern und Adoptivkindern besteht darin, dass ein Adoptivkind formal und gesetzlich alleiniges Kind der neuen Eltern wird, während ein Pflegekind formal und gesetzlich das alleinige Kind der leiblichen Eltern bleibt. Zudem haben Pflegekinder in ihren Herkunftsfamilien oftmals belastende und teilweise sogar traumatisierende Erfahrungen gemacht, bei deren Bewältigung die Pflegeeltern Unterstützung bieten müssen.
Die Herkunft des Kindes hat meist einen festen Platz in dessen Leben, wodurch der Kontakt zu leiblichen Eltern oder anderen Mitgliedern der Herkunftsfamilie aufrechterhalten wird und das Kind lernt mit zwei Familien aufzuwachsen – seiner Ursprungs- und seiner Pflegefamilie. Das Pflegeverhältnis kann hierbei zeitlich begrenzt sein, wenn eine Rückkehr des Kindes in seine Ursprungsfamilie sinnvoll erscheint. Insgesamt stellen Dauerpflegen, d.h. Pflegschaften bis zur Verselbstständigung mit 18 Jahren und meist darüber hinaus, jedoch eine weit verbreitet Praxis dar, wodurch viele Pflegekinder letztendlich bei ihren Pflegeeltern groß werden können.
Diese nehmen das Kind gemeinsam auf, wodurch keine biologischen und rechtlichen Ungleichgewichtungen auftreten und die Pflegschaft zum emotionalen Projekt beider wird. Des Weiteren werden Pflegeeltern durch den Pflegekinderdienst betreut und unterstützt und erhalten darüber hinaus auch finanzielle Unterstützungsleistungen in Form von Pflegegeld.
Vorurteile und Diskriminierungen
Gegner von Regenbogenfamilien argumentieren jedoch oft, dass homosexuelle Paare keine Kinder großziehen sollten, da diesen das gegengeschlechtliche Elternteil fehle. Dies wirke sich negativ auf verschiedene Entwicklungsprozesse, wie die allgemeine Identitätsbildung oder die zu entwickelnde Geschlechtsidentität aus. So wird u.a. behauptet, dass Kindern, welche bei zwei Vätern aufwachsen, die Fürsorge, Sicherheit und Pflege fehle, welche nur eine Mutter bereitstellen könne. Zudem wird angenommen, dass Töchter, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, aufgrund ‚falscher‘ oder fehlender Rollenmodelle zu männlich und Söhne zu weiblich werden. Es wird argumentiert, dass Jungen einen Vater bräuchten, um eine angemessene männliche Identität zu entwickeln und ein Vater auch für Mädchen unabdingbar sei, damit diese eine „heterosexuelle Feminität entwickeln und heteronormative Erwartungen an zukünftige Paarbeziehungen zu Männern bilden könnten.“ (Scholz 2017: 22)
Ein weiteres Vorurteil gegenüber Regenbogenfamilien besteht darin, dass die Kinder von schwulen und lesbischen Paaren selbst homosexuell werden würden. Zudem wird angenommen, dass Kinder aus Regenbogenfamilien verstärkt diskriminiert werden, da die Gesellschaft noch nicht reif für derartige Familienformen sei. Aus diesem Grund würden sich Kinder von homosexuellen Eltern häufig von Gleichaltrigen zurückziehen und sich sozial isolieren. Verstärkte Diskriminierungserfahrungen und Hänseleien zögen wiederum eine Beeinträchtigung in der Entwicklung der Kinder mit sich.
Sind homosexuelle Paare Eltern zweiter Klasse?
Stimmen diese Vorurteile tatsächlich und lassen sich homosexuelle Paare als Eltern zweiter Klasse abstempeln und sind Pflegekinder in Regenbogenfamilien ausgeschlossen?
Nein. Zahlreiche Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Lesben und Schwule Kinder ebenso „gut“ erziehen können wie heterosexuelle Mütter und Väter. Ein Großteil der Untersuchungen ergab, dass schwule Väter und lesbische Mütter über eine angemessene Erziehungsfähigkeit verfügen und ihre Kinder eine gelungene emotionale, soziale und sexuelle Entwicklung vollziehen. Zwar unterscheiden sich homosexuelle Eltern in einigen Aspekten des Erziehungsverhaltens durchaus von heterosexuellen, die Unterschiede scheinen dem Wohlbefinden der Kinder jedoch in keiner Weise zu schaden. Es konnte ermittelt werden, dass die Prozesse innerhalb einer Familie, wie beispielsweise die Qualität der Beziehungen, einen deutlich größeren Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben als die Struktur der Familie.
Ein wesentlicher Unterschied im Familienalltag zeigt sich lediglich darin, dass anfallende Erziehungs- und Versorgungsaufgaben in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oftmals egalitärer und flexibler geteilt werden als in heterosexuellen Beziehungen. Durch eine egalitäre Verteilung von Aufgaben steigt zumeist auch die Partnerschaftszufriedenheit, was sich wiederum positiv auf die Zufriedenheit und das Wohlbefinden der Kinder auswirkt.
Zudem konnte festgestellt werden, dass sowohl lesbische, als auch schwule Paare grundsätzlich einen großen Wert darauf legen, dass ihre Kinder regelmäßigen Kontakt zu Personen des anderen Geschlechts haben. Dies erscheint insofern wichtig, da Kinder zum Aufbau eines adäquaten geschlechtstypischen Rollenverhaltes Modelle beider Geschlechter in ihrem Lebensumfeld benötigen – dies müssen aber nicht zwingend Mutter und Vater sein.
Bezüglich der sozialen und emotionalen Entwicklung der Kinder existieren unterschiedliche Ergebnisse. Manche Studien konnten keinerlei Unterschiede zwischen Kindern homosexueller Paare und Kindern heterosexueller Paare feststellen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Kinder aus homosexuellen Familienkonstellationen genauso gut sozial integriert sind wie Kinder heterosexueller Eltern und einen ebenso hohen Selbstwert aufweisen. Hierbei konnte festgestellt werden, dass Kinder umso weniger diskriminiert werden, je offener sie, ihre Eltern, Freund/innen und andere Familienmitglieder mit der Lebensform ihrer Familie umgehen.
Obwohl zahlreiche Studien zu dem Ergebnis kommen, dass sich Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern ebenso „gut“ entwickeln wie Kinder aus Familien mit gegengeschlechtlichen Eltern, existieren noch immer einige Bedenken und Einwände bezüglich homosexueller Elternschaft, welche es dringend zu überwinden gilt. Wir wollen als Fachbereich Pflegefamilien weiterhin mit dazubeitragen, dass Pflegekinder in Regenbogenfamilien auch einen Lebensort finden können.
Warum Pflegekinder in Regenbogenfamilien besonders gut aufgehoben sind?
Insgesamt gibt es einige Argumente, die für die Aufnahme von Pflegekindern in Regenbogenfamilien sprechen. So weisen gleichgeschlechtliche Elternpaare grundsätzlich eine besonders hohe Motivation und große Entschiedenheit für ein Leben mit Kindern auf. Denn viel wichtiger als die Frage der Leiblichkeit, ist ihnen Elternschaft und Familie gemeinsam leben zu können. Sie entscheiden sich ganz bewusst für Pflegekinder, wodurch diese keine Kinder „zweiter Wahl“ sind.
Darüber hinaus verfügen homosexuelle Personen über eine große Erfahrung in der Bewältigung ungewöhnlicher Lebenssituationen und sind dadurch in besonderem Maße dazu fähig, sich in ein Kind einzufühlen, das anders leben muss als andere Kinder. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen können sie mit Abweichungen besonders sensibel umgehen.
In der Abweichung von „normalen“ Familienmodellen können Pflegekinder in Regenbogenfamilien zudem ein Vorbild sehen, ihr eigenes Leben selbstbestimmt und zufrieden zu gestalten – trotz ungewöhnlicher Familienbiographie.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass besondere Familien besondere Chancen und Ressourcen bieten. Indem unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Familienmodellen angeworben werden, können die Chancen auf mögliche Passungen für Pflegekinder erhöht werden, wodurch die Pflegekinderhilfe von der Hinzunahme unkonventioneller Familienmodelle profitieren kann. Wir denken es ist deutlich geworden, dass Pflegekinder in Regenbogenfamilien einen wertvollen Ort für ihre Entwicklung finden können.
Möchten Sie als Regenbogenfamilie mit Pflegekindern leben?
Dann nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf. Wir freuen uns auf Sie? Hier der Link!
Quellen
Berger, Walter/ Reisbeck, Günter/ Schwer, Petra (2000): Lesben – Schwule – Kinder. Eine Analyse zum Forschungsstand. Düsseldorf: Allbro.
Carapacchio, Ina (2008): Kinder in Regenbogenfamilien. Eine Studie zur Diskriminierung von Kindern Homosexueller und zum Vergleich von Regenbogenfamilien mit heterosexuellen Familien. Diss. München 2009. München: o.V.
Copur, Eylem (2008): Gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Kindeswohl. Bern: Stämpfli.
Fthenakis, Wassilios E. (2000): Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften und kindliche Entwicklung. In: Jürgen Basedow/ Klaus J. Hopt/ Hein Kötz/ Peter Dopffel (Hg.): Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 351-390.
Jansen, Elke/ Steffens, Melanie Caroline (2006): Lesbische Mütter, schwule Väter und ihre Kinder im Spiegel psychosozialer Forschung. In: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 38, H. 3, S. 642-653.
LSVD (Hg.) (2014): Regenbogenfamilien – alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte. 2. Auflage. Köln.
Scholz, Katrin (2017): Vorurteil und soziale Identität. Einstellungen zu homosexueller Partner- und Elternschaft. Diss. Köln 2018. Köln: o.V.
Internetquellen
Greib, Angela (2019): Die Vermittlung von Pflegekindern an gleichgeschlechtliche Paare. URL: https://www.lsvd.de/en/lebensformen/lsvd-familienseiten/vortraege-und-veranstaltungen/5-lsvd-familienseminar-2007/9-ein-leben-mit-kindern-der-weg-zum-pflegekind-c1.html, Abruf am 16.09.2019.
Inhoffen, Lisa (2017): Homo-Ehe. Mehrheit der Deutschen für gleichgeschlechtliche Heirat. URL: https://yougov.de/news/2017/06/23/homo-ehe-mehrheit-der-deutschen-fur-gleichgeschlec/, Abruf am 16.09.2019.
MDR (2018): „Ehe für alle“ heißt nicht „Elternschaft für alle“. URL: https://www.mdr.de/nachrichten/ratgeber/bgh-urteil-adoption-verheiratete-homosexuelle-100.html, Abruf am 16.09.2019.
Mielchen, Stefan (2016): Aufruf zum CSD. Hamburg sucht gezielt schwule und lesbische Pflegeeltern. URL: https://www.queer.de/detail.php?article_id=26749, Abruf am 16.09.2019.